Im vergangenen Jahr durften wir gemeinsam mit zahlreichen Kolleg*innen aus ganz Europa eine Studie durchführen, bei der es uns um das Verständnis von Citizen Science ging. Konkret wollten wir verstehen, welche Projekte von der europäischen Community als Citizen Science klassifiziert werden und welche nicht, und auch welche Eigenschaften diese Projekte haben. Die Ergebnisse dieser Studie wurden am 25. August im Journal Royal Society Open Science veröffentlicht.
Citizen Science ist zwar ein Bereich, der in den letzten Jahren stark gewachsen ist, jedoch fehlt noch eine klare Definition, was genau Citizen Science ist. Eine solche Definition haben wir in einem Leserbrief in der Zeitschrift Nature und in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift PNAS bereits angeregt. Diese Veröffentlichungen haben tatsächlich einen internationalen Diskurs über das Verständnis von Citizen Science und mögliche Definitionen angestoßen. Die Grundlage für unsere beiden Veröffentlichungen bildete der Qualitätskriterienprozess für Citizen-Science-Projekte auf Österreich forscht, welche in der Arbeitsgruppe für Qualitätskriterien bereits 2017 entwickelt wurden und die wir ebenfalls im Fachmagazin Citizen Science: Theory and Practice detailliert vorgestellt haben.
Bei der nun veröffentlichten Vignetten-Studie wurde eine sehr spannende und geschickte Methode angewandt, um das zugegebenermaßen trockene Thema Eigenschaften von Citizen Science Projekten auf einfache Art und Weise untersuchen zu können. In sogenannten „Vignetten" wurden fiktive Projekte und Initiativen in wenigen Worten beschrieben und die Citizen-Science-Community konnte dann bewerten, ob diese Vignette Ihrer Meinung nach ein Citizen-Science-Projekt beschreibt und wie sicher sie sich in ihrer Einschätzung fühlen. Dabei konnten die Teilnehmenden auch Abstufungen vornehmen, da es auch im richtigen Leben nie ein eindeutiges ja oder nein gibt. Hier ein Beispiel, das vermutlich besser erklärt wie die Vignetten funktionieren:
"Sebastian lebt in Hannover, ist Hobbygärtner und besitzt einen Schrebergarten. Letztes Jahr belegte er einen Online-Kurs über regenerativen Anbau und meldete sich für ein europaweites Anbauexperiment an, bei dem eine Polykultur mit einer Monokultur verglichen wurde. Er befolgte die Anweisungen, die ihm gegeben wurden, und baute das Experiment in seinem Schrebergarten auf. Er nahm an Online-Treffen mit anderen Teilnehmenden teil und sammelte Daten von seinem Schrebergarten, die er über ein Online-Formular weitergab. Außerdem analysierte er die von ihm gesammelten Daten selbst und teilte sie über die sozialen Medien. Er erhielt zusätzlich die Ergebnisse aller anderen Teilnehmenden und nahm an einer abschließenden Online-Diskussion teil. Außerdem erklärte er sich bereit, in einer wissenschaftlichen Arbeit über Studie als Autor genannt zu werden."
Insgesamt gab es 50 verschiedene Vignetten und die Teilnehmenden konnten alle (oder auch nur einen Teil davon) bewerten. 5 wurden so formuliert, dass sie ganz klar keine Citizen-Science-Projekte beschreiben, 5 weitere beschrieben Projekte, die weithin als Citizen Science bezeichnet werden. Die restlichen 40 Vignetten fokussierten sich auf 10 Faktoren (z.B. Aktivitätsgrad) und 61 Subfaktoren (z.B. aktiv, semiaktiv, passiv), die zwar irgendwie mit Citizen Science in Verbindung stehen, allerdings auch zu Diskussionen über die Zugehörigkeit zu Citizen Science führen können. Insgesamt haben 333 Personen die Vignetten beantwortet und 5100 Bewertungen durchgeführt.
Die Ergebnisse zeigten eine weite Bandbreite im Verständnis von Citizen Science bei den 333 Teilnehmenden. Am öftesten als „Nicht-Citizen Science" bezeichnet wurden Vignetten, bei denen hervorkam, dass die Citizen Scientists selbst „nur" finanzielle Hilfe leisten, aber sonst nicht in das Projekt involviert werden. Auch klinische Studien wurden meistens nicht als Citizen Science bewertet. Projektbeispiele aus Galaxy Zoo wurden hingegen als klare Paradebeispiele für Citizen Science bezeichnet.
Nicht so eindeutig waren die Ergebnisse für Vignetten, die zeigten, dass die Daten in den dort beschriebenen Projekten kommerziell genutzt werden, durch einen Gamificationansatz gewonnen wurden oder bei denen die Daten durch die Nutzung von Social Media generiert werden (z.B. wenn Bilder auf Facebook für Studien genutzt werden, ohne dass die Facebooknutzer*innen davon wissen).
Basierend auf den Ergebnissen konnten auch einige Eigenschaften von Citizen Science identifiziert werden: die bewusste und aktive Teilnahme der Citizen Scientists ist dabei von zentraler Bedeutung für die meisten Teilnehmenden dieser Studie. Auch die Einbindung in mehr als einer Phase eines Forschungsprojektes resultierte in höheren Bewertungen als die Einbindung in nur einer Projektphase. Damit zusammenhängend war auch die Erkenntnis, dass Projekte, bei denen Citizen Scientists in der Datensammlung eingebunden werden, eher als Citizen Science bezeichnet werden als bei der Einbindung in anderen Projektphasen.
Die Vignettenstudie zeigt sehr gut, dass wir es mit einer großen Vielfalt an Verständnissen gegenüber Citizen Science zu tun haben. Kontextspezifische Definitionen könnten daher zumindest für den Anfang ein guter Weg sein, um mit dieser Vielfalt umzugehen. Insgesamt zeigt diese Studie, dass es notwendig ist, die Pluralität und Vielfalt der Interpretationen auch zu adressieren. Dazu gehört nicht nur eine Definition von Citizen Science, sondern auch der verschiedenen Typologien und Begriffe, die zur Beschreibung von Citizen Science verwendet werden, je nach Kontext, wissenschaftlicher Disziplin und Geografie, aus der sie stammen.
Die Studie ist im Fachjournal Royal Society Open Science erschienen und kann gratis heruntergeladen werden (https://doi.org/10.1098/rsos.202108).
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