Im westlichsten Bundesland Österreichs Vorarlberg, im Vierländereck Österreich-Schweiz-Liechtenstein-Deutschland, traf sich die deutschsprachige Citizen-Science-Community, um sich zu den neuesten Entwicklungen rund um Citizen Science auszutauschen. In der Tradition der Österreichischen Citizen Science Konferenz waren wieder explizit alle Fachrichtungen und Vertreter*innen mit unterschiedlichsten institutionellen Hintergründen und natürlich auch bereits aktive bzw. zukünftige Citizen Scientists vertreten und tauschten sich bei der Konferenz aus.
Gastgeberin für die Österreichische Citizen Science Konferenz, die seit 2015 von der Plattform Österreich forscht und dem dazugehörigen Citizen Science Network Austria, welche von der Universität für Bodenkultur Wien koordiniert werden, organisiert wird, war die inatura Erlebnis Naturschau in Dornbirn, das naturkundliche Kompetenzzentrum Vorarlbergs. Als naturkundliches Museum orientiert sie sich an den internationalen ethischen Richtlinien eines Museums (siehe: ICOM – Ethikkodex für Naturhistorische Museen, 2013). Damit ist die inatura die wichtigste regionale Einrichtung zur naturwissenschaftlichen Forschung, Sammlung, Bewahrung, Dokumentation, Ausstellung, Information und Beratung zu naturkundlichen Themen und Phänomenen in Vorarlberg.
Unter dem Motto "Citizen Science - Warum (eigentlich) nicht?" wurden vielfältige Themen diskutiert. Keine andere Zeit hat so deutlich das Gewicht von Wissenschaft, Forschung und der Vermittlung von Ergebnissen und Daten hervorgebracht wie die letzten Monate. Als Gesellschaft aktiv gegen Krisen angehen zu können, ist eine der Kernkompetenzen von Citizen Science. Engagierte Bürger*innen forschen Hand in Hand mit Wissenschaftler*innen, um Antworten auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Gesellschaft zu finden.
Folgende Fragen wurden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Dabei ging es um die Möglichkeiten und die Herausforderungen des gemeinsamen Forschens, um Beispiele konkreter Projekte und Initiativen.
Nach der Eröffnung durch Ruth Swoboda, Direktorin der inatura, Alexander Kuen, Stadtrat von Dornbirn, Stefan Duscher vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und Daniel Dörler, Gründer und Koordinator von Österreich forscht und des Citizen Science Network Austria, beleuchteten die Keynotes von Nicola Moczek und Erich Griessler das Konferenzmotto aus ihren jeweiligen Blickwinkeln der Motivations- bzw. der sozialwissenschaftlichen Forschung und eröffneten die beiden fachlichen Konferenztage mit inspirierenden Vorträgen.
Nicola Moczek plädierte für eine Zusammenarbeit zwischen Bürger*innen und Wissenschaftler*innen in Citizen-Science-Projekten, welche noch stärker als bisher von gegenseitigem Respekt, Offenheit und echtem Interesse an den jeweiligen Kompetenzen geprägt wird. Sie leitete uns auf einer kurzen Reise durch die Geschichte der Motivationsforschung. Im Vortrag wurden psychologische Begriffe und Ansätze sowie verschiedene Motivationstheorien, -modelle und -studien vorgestellt und immer in Bezug auf die Bedeutung für Citizen Science diskutiert.
Die Forscherin und Beraterin zeigte den Kontrast zwischen dem hohen Interesse an der „Motivation der Teilnehmenden" und der geringen tatsächlichen Kenntnis darüber und nannte mögliche Gründe dafür. Außerdem beleuchtete sie den mitunter schmalen Grad zwischen „Motivation" und „Manipulation". Denn in vielen Projekten geht es auch um Einflussnahme und die Erhöhung der Handlungsbereitschaft von Bürger*innen (movere = bewegen, antreiben). Manchmal wird dies auch unterschwellig mit der Annahme eines Defizits oder Mangels (der zumeist ehrenamtlichen Mitforschenden) in Bezug auf Problembewusstsein, Wissen, Können und Erfahrungen verknüpft. Erfolgreiche Projekte kommunizieren die Ziele und Motive aller Beteiligten klar und berücksichtigen diese im Projekt angemessen. Sie verstärken die Vielfalt der Kompetenzen und Perspektiven aller Teilnehmenden.
Erich Griessler warf einen kritischen Blick auf die Möglichkeiten und Chancen von Citizen Science anhand eines großen EU-Projektes. Er zeichnete ein Bild von Citizen Science als Methode, die in den letzten Jahren immer populärer wurde. Der Begriff taucht in der Europäischen, internationalen und österreichischen Forschungsförderung und -politik immer wieder auf. Citizen Science erscheint darin als das Allheilmittel, das in der Lage sei, viele Fliegen auf einmal zu fangen. Sie soll Wissenschaft und Öffentlichkeit stärker verbinden. Sie soll öffentliches Vertrauen in die Wissenschaft (wieder)herstellen und Misstrauen abbauen. Sie soll bei der jungen Generation das Interesse für Wissenschaft wecken und damit Nachwuchs für die Wirtschaft, insbesondere in naturwissenschaftlichen und technischen Fächer schaffen.
Neben diesem Nutzen für Wirtschaft und ein harmonisches Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit hat Citizen Science weitere wichtige Aspekte und Traditionen. Mit Citizen Science kehrt die Wissenschaft zu ihren Ursprüngen zurück. Denn am Beginn der ausdifferenzierten Wissenschaft stehen nicht professionelle Wissenschaftler*innen, sondern neugierige Lai*innen, die an Phänomenen der sie umgebenden Welt interessiert sind. Dieser Aspekt von Citizen Science betont wissenschaftliche Neugier und Erkenntnisgewinn um seiner selbst willen. Eine andere Tradition von Citizen Science betrifft die gesellschaftlichen Nutzen von Forschung. Viele Formen von Citizen Science haben den Anspruch, mit Wissenschaft wahrgenommene Missstände zu beseitigen. Hier steht die Umsetzung von Wissen im Vordergrund. Diese verschiedenen Traditionen und Ziele von Citizen Science, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, stellte Erich Griessler dar.
20 weitere Vorträge und 8 Workshops und Schulungen zeichneten ein sehr diverses Bild von Citizen Science im deutschsprachigen Raum. Vor allem die zahlreich teilnehmenden Citizen Scientists aus unterschiedlichen Projekten zeigten eindrucksvoll, welches Potential Citizen Science entfalten kann. Fast 40 Poster in zwei Postersessions brachten weitere Perspektiven in spannende Diskussionen ein und trugen damit maßgeblich zur Vielfalt der Österreichischen Citizen Science Konferenz bei.
Die Themen reichten von Biodiversitätsmonitorings mit Citizen Scientists, über Forschung zur nächtlichen Lichtverschmutzung, Einbindung von Bürger*innen in medizinischer Forschung, Untersuchung der Anreize durch monetäre Mittel in Citizen Science Projekten bis hin zur Einbindung von Schüler*innen in Forschungsprojekten. Auch Methoden der Kokreation und Mittel der gemeinsamen Erzeugung von Datenbanken mittels Wikisystemen wurden v. a. in den Workshops und Schulungen vorgestellt.
Doch die Konferenz bot neben einem spannenden fachlichen Programm auch ein reichhaltiges Rahmenprogramm an. Ein Conference Dinner in der inatura mit musikalischer Begleitung des Chors "Los amol" und des Ensembles "Freiluft" des Vorarlberger Landeskonservatorium bot einen gelungenen Abschluss des ersten Konferenztages, während ein aufregendes Pub Quiz die Teilnehmenden am zweiten Abend ausgezeichnet unterhielt. Den Abschluss bildete am 30.06. vormittags der Citizen Science Marktplatz, bei dem sich Infostände und Mitmachstationen zu Citizen Science-Initiativen in der inatura einem interessierten Publikum präsentierten.
Die Österreichische Citizen Science Konferenz hat nach einer pandemiebedingten einjährigen Pause ein eindrucksvolles Comeback in Dornbirn feiern können, das durch eine sehr gute, kollegiale Stimmung geprägt war und einen intensiven fachlichen Austausch ermöglicht hat. Das reichhaltige Programm bot sehr viel Stoff für Diskussionen und weitere Überlegungen - die Konferenz konnte einmal mehr zeigen, dass sie zu einer der wichtigsten Konferenzen im Bereich Citizen Science in Europa gehört.
Eine Fotogalerie finden Sie auf der Konferenzwebsite der inatura.
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