Glück im Unglück hatten zahlreiche Personen am 10.7.2017 insb. am Flughafen Schwechat, ohne es zu wissen. Am Tag genau 101 Jahre nach der größten Wirbelsturm-Katastrophe in Österreich ereignete sich im Raum Wien-Schwechat ein Unwetter, welches auch einen Tornado hervorbrachte. Bei dem Tornado 1916 in Wiener Neustadt gab es 34 Todesopfer und mehr als 300 Schwer- & Mittelschwerverletzte! Dieses Mal zog ein Tornado jedoch nur über Felder und Straßen, so kamen keine Personen zu Schaden. Der Wirbelsturm löste kurz vor den Landespisten des Flughafen Schwechats auf – nicht auszumalen, was passiert wäre, wäre der Tornado nur 1 Kilometer weitergezogen. Hier ein Rückblick der Ereignisse und wie es dazu kam.
Der 10. Juli beginnt wie zahlreiche Tage im Juli, schon am Vortag gibt es im Radio, Fernsehen & Internet die Wetteransage: „Gewitter sind im Tagesverlauf möglich, einzelne können auch kräftiger sein“. Tatsächlich befindet sich über Westeuropa ein Trog (Gebiet mit geringem Luftdruck), dadurch kommt von Südwest feuchte und warme Luft nach Österreich. Relativ unerwartet gibt es bereits in den Morgenstunden im Wiener Becken einige Schauer und Gewitter. Durch den Regen ist es in der bodennahen Luft sehr feucht. Nach den Schauern scheint überall wieder die Sonne – die Temperaturen steigen vielerorts über 30°C – es wird sehr dunstig und schwül.
Um Mittag herum lassen Meteorologen der ZAMG auf der Hohen Warte in Wien einen Wetterballon steigen, der Wetterdaten aus unterschiedlichen Höhen erfasst. Dabei wird immer klarer: heute sind heftige Gewitter möglich. Neben der hohen „Labilitätsenergie“ und der bodennahen Feuchtigkeit, herrscht auch eine ausgeprägte Winddrehung und Änderung der Windstärke in unterschiedlichen Luftschichten. All diese Indizien lassen Meteorologen & und auch die Sturmjäger und Beobachter von Skywarn vorsichtig werden – in solch einer Luft sind neben Hagelunwettern auch Tornados nicht ausgeschlossen.
Zeitlicher Ablauf:
Gegen 14 Uhr wird die Luft durch Winde gezwungen aufzusteigen. Insb. feuchte Luft strömt nun im Wiener Becken zusammen und wird gegen die Hügel vom Wiener Wald gedrückt – mächtige Haufenwolken und Gewitter entstehen. Ab 15 Uhr zieht ein kräftiges Gewitter vom Wiener Wald über den Bereich Vösendorf (SCS) im Bezirk Mödling und verstärkt sich weiter. In diesem Bereich bildet sich bereits eine rotierende abgesenkte Wolke (sogenannte Wallcloud) aus. Diese saugt immer mehr feuchte und warme Luft in das Gewitter.
Bild: (c) Manuel Weber - skywarn.at
Das Gewitter hat nun die Charakteristik einer „Superzelle“. Superzellen sind rotierende Gewitterstürme, durch ihre Dynamik leben sie wesentlich länger als normale Gewitter, zudem sind Begleiterscheinungen wie großer Hagel, Sturm, Überflutungen und – selten aber doch - Tornados möglich. Zu dieser Zeit beginnt es auch vielerorts südlich von Wien zu hageln. Auch in der Wiener Innenstadt wird kleiner Hagel beobachtet. Über das SKYWARN-Meldesystem gehen zu dieser Zeit Hagel-Meldungen im Bereich Wien-Liesing ein – die größten Hagelkörner sind über 5 cm Durchmesser groß!
Grafik: (c) Gabriel Strommer - skywarn.at
Das Gewitter zieht weiter in Richtung Ost, in Kürze wird auch in Schwechat der Verkehr durch Hagel und Starkregen zum Erliegen kommen. Um 16:15 gibt es bereits zahlreiche Gewitterwarnungen im Radio & bei Wetterdiensten. Auch 3 Skywarn-Beobachter und Sturmjäger sind zu dieser Zeit in diesem Bereich unterwegs. Mortimer Müller ist einer davon, an seinem Standort nahe Schwechat fallen nun 3cm Hagelkörner. In Schwechat selbst fallen Hagelkörner um die 8 cm vom Himmel, beschädigen zahlreiche Autos und auch Dächer!
Um 16:27 bildet sich einige Sekunden lang ein rotierender Wolkenrüssel aus und erreicht kurz den Boden ehe er verschwindet. 2 Minuten später verstärkt sich die Rotation der „Wallcloud“, ein weiterer Trichter schraubt sich zum Boden hinab. Die ausgeprägte Trichterwolke befindet sich nun am Boden – ein Tornado ist entstanden. Er zieht über Felder, aufgewirbeltes Stroh und Blätter sind auch in 2km Entfernung zu erkennen. Auch Manuel Weber und Mathias Stampfl sind einige Kilometer weiter südlich und beobachten die Zugbahn des Tornados.
16:35 – Der Tornado befindet sich nun sehr nahe am Standort von Sturmjäger Mortimer Müller – und passiert nur einige 100 m entfernt sein Auto, quert die Landestraße L2063. Hier fährt ein Auto nahe am Tornado vorbei – fast hindurch – Äste und einige Bäume entlang der Straße brechen, der Autofahrer bleibt unverletzt.
Unter diesem Link kann das Video angesehen werden!
Inzwischen wurde die Tornadomeldung mit Zugbahn Richtung Ost via Skywarn u.a. an den staatlichen Wetterdienst ZAMG & Flugwetterdienst Austrocontrol weitergeleitet. Zudem warnt Skywarn via Facebook mit einem Live-Video-Einstieg vor der Gefahr.
16:42 – Der Tornado überquert die B10 nur wenige Kilometer westlich des Flughafens. Das Brausen des Sturms ist deutlich zu vernehmen. Um 16:44 zerstört der Tornado einen Windschutzgürtel und überquert gelagerte Heuballen, die den Wirbelsturm gelb färben. Kurz danach löst sich der Tornado nur 1 km neben der Landebahn des Flughafen Schwechats auf! Ein großes Glück! Flugzeuge im Landeanflug versuchen noch vor dem Unwetter und Tornado zu landen. Das Bodenpersonal wird kurzzeitig in Sicherheit gebracht. Die gesamte Lebensdauer des Tornados betrug rund 15 Minuten. In diesem Zeitraum legte er eine Strecke von knapp 4 km zurück. Die Zugbahn war anfangs Nordosten, bald verlief sich aber nahezu in West-Ost Richtung.
Zugbahn des Tornados - Der Flughafen Wien-Schwechat wurde nur knapp verfehlt. Karte © BEV
Die anschließende Schadensanalyse von SKYWARN-Mitgliedern ergab anhand der Schäden an Bäumen und Ästen einen Tornado der Kategorie F1/T2, als Windspitzen um 180km/h.
Mithilfe der gesammelten Videoaufnahmen konnte eine erste photogrammetrische Auswertung zur Feststellung der tatsächlichen Windspitzen durchgeführt werden. Dabei wurde die Szene mit dem Fahrzeug neben dem geworfenen Nussbaum untersucht. Anhand des Trümmerflugs und des Größenvergleichs mit dem Fahrzeug kann auf die Windgeschwindigkeit rückgeschlossen werden.
Dargestellt ist jeweils der Abstand von 5 Frames (entsprechend 0,1sek). In diesem Zeitraum hat sich das rot gekennzeichnete Trümmerstück um etwa 6m verlagert, was einer Geschwindigkeit von 60 Meter pro Sekunde (216km/h) entspricht.
Das ESSL (European Severe Storm Laboratory) plant zudem, an den Videoaufnahmen weitere photogrammetrische Analysen durchzuführen, um die tatsächliche, maximale Windgeschwindigkeit des Tornados zu ermitteln. Eine Detailiertere Analyse - erstellt von Herfried Eisler, Mortimer M. Müller, Mathias Stampfl & Gabriel Strommer - finden Sie hier: http://www.skywarn.at/index.php/berichtereader/superzelle-tornado-grosshagel-wien-schwechat.html
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