In dieser neuen Interviewserie blicken wir hinter die Kulissen und stellen die Personen hinter den einzelnen Citizen-Science-Projekten und ihre Motivation zu Forschen vor. Die Interviewerin Eva Lirsch sprach mit Ulrike Zartler und Raphaela Kogler, die zusammen mit Marlies Zuccato-Doutlik für das Projekt "SMILE" verantwortlich sind. Den Einstieg in das Interview bildet ein Science Wordrap.
Mein Berufswunsch als Kind war:
Ulrike Zartler (lacht): Kinderpsychologin.
Raphaela Kogler: Meiner auch! Psychologin zumindest.
Ulrike Zartler: Ich habe immer die Erziehungsratgeber meiner Mutter gelesen und immer ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich mir gedacht habe, so was dürfen Kinder sicher nicht lesen. Da habe ich mir gedacht, super, das ist interessant. Das möchte ich werden.
Raphaela Kogler: Bei mir war es der Zusammenhang zwischen den Gefühlen und dem rationalen Denken, wie das zusammenspielt.
Wissenschaft ist für mich:
Ulrike Zartler: Neue Welten entdecken.
Raphaela Kogler: Eine Herausforderung, um das Wissen auch wieder in die Gesellschaft zurückzuspiegeln.
Am spannendsten an meinem Fachgebiet finde ich:
Raphaela Kogler: Die Arbeit im Feld, also mit den Kindern in dem Projekt, mit Jugendlichen, Familien zu arbeiten.
Ulrike Zartler: Da kann ich mich nur anschließen.
Wenn ich eine Sache auf der Welt verändern könnte, würde ich:
Ulrike Zartler: Kinderarmut abschaffen.
Raphaela Kogler: Gleichberechtigung auf vielen Ebenen erzielen: zwischen Kindern und Erwachsenen, Armen und Reichen, also auf mehreren Ebenen.
Spaß an der Arbeit bedeutet für mich:
Ulrike Zartler: Was das Projekt betrifft: in die Klassen gehen und von den Kindern dort herzlich empfangen werden. Die Kinder freuen sich immer sehr, wenn wir kommen.
Raphaela Kogler: Auch Spaß und Freude an neuen, unerwarteten Ergebnissen.
Diese Personen finde ich am faszinierendsten:
Ulrike Zartler: Astrid Lindgren, weil ich ihren Zugang zu Kindern großartig finde. Sie ist so ganz anders als die pädagogische Zeigefinger-Literatur, die vorgegeben hat, Kinder unterhalten zu wollen, aber sie eigentlich erziehen wollte. Astrid Lindgren war da eine wohltuende Ausnahme.
Raphaela Kogler: So eine schwierige Frage: in den Sozialwissenschaften finde ich zum Beispiel Erving Goffmann sehr faszinierend, weil er versuchte, hinter Interaktionen zu blicken und er uns quasi eine Anleitung gibt, wie wir das tun können.
Persönlicher Hintergrund
Wann wussten Sie, dass Sie Wissenschaftlerin werden wollen?
Raphaela Kogler: Ich wusste es nicht gleich. Durch das sozial- und bildungswissenschaftliche Studium wusste ich, dass die WissenschaftlerInnen, die die Grundlagen schaffen, großartig sind. Zuerst also durchs Studium, dann durch erste Forschungs- und Lehrererfahrung. Ich wusste, dass ich auf jedem Fall in dem Kinderbereich bleiben und forschen möchte.
Gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Raphaela Kogler: Im Studium zu sehen, wie SozialwissenschaftlerInnen für ihre Arbeit brennen, hat bei mir abgefärbt, natürlich aber nicht an einem Tag, sondern das waren auch viele verschiedene Personen.
Ulrike Zartler: Der Wunsch, in die Wissenschaft zu gehen, kam bei mir während des Studiums. Schlüsselerlebnisse hatte ich zwei, aber teilweise bereits viel früher: einerseits, als ich von einer Nachbarin befragt worden bin, die Psychologie studiert hat. Ich fand das super und dachte, so etwas will auch gerne machen! Das war so ein ganz klassischer Fragebogen, den man heute wahrscheinlich kritisieren würde. Aber ich habe das faszinierend gefunden, wie das strukturiert war und dass es interessant ist für sie, was ich dazu zu sagen habe. Das zweite war tatsächlich an der Uni ein bestimmtes Seminar, wo ich gedacht habe, einfach großartig! Kinder- und Jugendsoziologie gab es damals nicht an der Uni. Ich war im ersten Familiensoziologie-Seminar, das an der Universität stattgefunden hat und ich habe gedacht, ich würde da gern zu jedem Thema dort ein eigenes Seminar machen.
Was würden Sie jemandem sagen, der sich überlegt, die Forschungslaufbahn einzuschlagen?
Ulrike Zartler: Ich würde sagen, dass es faszinierend ist, und mit sehr viel Freiheiten verbunden. Ich glaube, das ist ein unglaubliches Privileg, sich den Forschungsbereich aussuchen zu können und zu den Themen zu arbeiten, die einen wirklich interessieren und die man als gesellschaftlich und wissenschaftlich relevant betrachtet. Natürlich gibt es auch in der Wissenschaft Zwänge, was die Arbeitsverhältnisse betrifft. Wer ab dem ersten Job eine unbefristete Vollzeit-Anstellung haben will, der hat es in der Wissenschaft schwierig.
Raphaela Kogler: Ich finde, er/sie soll es tun, weil es gibt noch so viel zu erforschen, gerade in den Sozialwissenschaften. Man soll es tun und probieren, aber man muss es sich auch trauen. Man muss da auch ein bisschen reinwachsen und dafür brennen, und den untypischen Arbeitsprozessen Zeit geben.
Zum Projekt
Wie sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science-Projekten in Berührung gekommen, war das im Zuge dieses Projektes oder schon vorher?
Ulrike Zartler: Früher hat das nicht Citizen Science geheißen, aber für mich war das schon immer etwas, das ich in meinen Projekten berücksichtigt habe. Ich habe noch nie ein Faible gehabt für Forschung im Elfenbeinturm. Ich habe immer versucht, Anknüpfungspunkte zu finden, wo die gesellschaftliche Relevanz des Themas liegt: Welche Personen haben etwas davon? Ich habe immer den Kontakten gesucht zu unterschiedlichen Stakeholdern. Es ist auch ein forschungspolitischer Aspekt von Wissenschaft: wenn man öffentliche Gelder dafür verwendet, um die eigene Forschung zu machen, dann ist es wichtig, auch etwas davon zurückzugeben, was auch abseits von einem Fachpublikum verstanden wird und Relevanz hat.
Raphaela Kogler: Ich sehe es ähnlich. In den Sozialwissenschaften ist es ganz selten nur eine Forschung über jemanden, sondern immer auch für jemanden. Man will den Leuten auch etwas zurückgeben und sie nicht allein lassen mit wissenschaftlichen Ergebnissen, die nicht übersetzt sind und die ihnen nichts bringen. Das können Handlungsempfehlungen sein in manchen Projekten oder Broschüren für jene, um die es geht.
Was sind denn die Ziele des Projektes „Smile“?
Ulrike Zartler: "Smile" steht für "Scheidung mit Illustrationen erforschen". Ausgangspunkt war der Gedanke, dass Scheidung ein Thema ist, das prinzipiell alle Kinder in irgendeiner Form betrifft, selbst wenn es nicht die eigenen Eltern sind, die sich scheiden lassen, sondern etwa die Eltern der besten Freundin bzw. des besten Freundes. Gleichzeitig ist dieses Thema mit sozialwissenschaftlichen Methoden schwierig zu erforschen, weil es eine sensible Thematik ist, über die nicht viel gesprochen wird. Unser Interesse war, wird das Thema unter Kindern thematisiert und in welcher Form? Die Frage war auch: Wie machen wir das Thema besprechbar? Wir haben dazu eine neue Methode für die Sozialwissenschaften adaptiert: Von uns wurden Concept-Cartoons gemeinsam mit den Kindern entwickelt und eingesetzt. Diese dienten ursprünglich dazu, um naturwissenschaftliche Phänomene mit Kindern im Rahmen des Unterrichts zu diskutieren, und wir wollten sehen, ob das auch mit einem sozialwissenschaftlichen Thema funktioniert.
Raphaela Kogler: Ein Ziel des Projekts ist auch, Unterrichtsmaterialien zu diesem Thema zu erstellen, die dann öffentlich über die Sparkling Science Website und unsere Website zugänglich sein sollen und dort open source zum Download zur Verfügung stehen.
Wie lange ist das Projekt insgesamt geplant?
Ulrike Zartler: Bis 31.8.2019. Dann muss alles fertig sein, inklusive Unterrichtsmaterialien. Wir arbeiten seit einem Jahr an dem Projekt und machen sogenannte "Forschungswerkstätten" mit den Kindern von vier Volksschulklassen - zwei in Wien, zwei in Tirol - somit in einem Gebiet mit der österreichweit höchsten Scheidungsrate und in einem mit der niedrigsten Scheidungsrate. Der Anspruch war, die Unterlagen partizipativ mit den Kindern zu entwickeln, und diesen so die Möglichkeit zu bieten, sich aktiv einzubringen.
Wie erreichen Sie die Zielgruppen Ihres Projektes?
Ulrike Zartler: Hauptgruppe sind die Kinder, aber neben diesen Forschungswerkstätten in den Schulen gibt es die öffentlichen Diskussionswerkstätten in Wien und Tirol. Dort sind vor allem LehrerInnen und Eltern adressiert: LehrerInnen, weil wir in Schulen forschen und die Eltern, weil die interessiert, was die Kinder da erfahren und erarbeiten. im Prinzip sind die Veranstaltungen für alle Interessierten offen.
Was ist die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Ulrike Zartler: Begonnen hat das Projekt am 1. September 2017. Schon am 4. September gab es die erste Diskussionswerkstatt in der Schule und wir haben uns mit allen LehrerInnen und Eltern getroffen, um das Projekt vorzustellen. Da haben wir schon alle Materialien gebraucht, um darzustellen, was wir mit dem Projekt erreichen wollen, und die Eltern zu bitten, dass die Kinder mitmachen dürfen. Das war schon eine Herausforderung. Normalerweise fängt das Projekt an, und man hat Zeit für Teambuilding und eine erste gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema. Diesen Prozess haben wir sehr abgekürzt.
Raphaela Kogler: Ja, das war eine Riesen-Herausforderung mit dem Projekt-Start, auch der generell kurze Zeitraum mit einem sehr dichten Programm. Wir betreiben einerseits Wissenschaft und produzieren wissenschaftliche Ergebnisse. Auf der anderen Seite kommt noch das Rückspielen an die Öffentlichkeit und an die Interessierten in Form der Unterrichtsmaterialien für die Schulen, die Kinder und die LehrerInnen dazu. Stichwort Citizen Science, was noch eine Herausforderung bei öffentlichen Diskussionen ist: man weiß nie, wer kommt, kann sich also nicht auf diese vorbereiten, möchte aber eine gute Diskussionsgrundlage bieten.
Wo kann man etwas über die Projektergebnisse erfahren?
Raphaela Kogler: Im Februar wird es in Wien noch eine Diskussionsveranstaltung geben, wo wir dann erste Ergebnisse zurückspiegeln und die ersten Unterrichtsmaterialien und die Broschüre herzeigen, und dann fragen: "Wie sehen Sie das, was fehlt Ihnen da vielleicht noch?" Wir hoffen natürlich auch auf Feedback von ExpertInnen aus der Didaktik und Pädagogik für das Unterrichtsmaterial. Sowohl in Wien als auch in Tirol ist eine große öffentliche Schlussveranstaltung geplant, die sogenannte "Smile goes public". In Wien findet sie am 18. Juni statt, in Tirol im Mai, da steht der genaue Termin noch nicht fest. Dort werden nicht nur Projektergebnisse präsentiert, sondern auch der Output in Form einer Broschüre, die mit den Kindern gestaltet wurde. Außerdem werden auch Teile des Projektes ausgestellt, die partizipativ von den Kindern mitgestaltet wurden.
In welchen Medien erfahren Interessierte Näheres zu den Veranstaltungen?
Ulrike Zartler: Auf unserer Projekt-Website der Uni Wien, auf der Österreich forscht-Website, auch über das Institut werden wir die Informationen verbreiten und über die Schulen. Die LehrerInnen werden persönlich eingeladen und die Eltern über das Mitteilungsheft informiert.
Rückfragehinweis:
Ulrike Zartler
Institut für Soziologie
Universität Wien
Rooseveltplatz 2
1090 Wien
T: +43-1-4277-48244
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